Wege zur inneren Stärke
PSYCHISCHE WIDERSTANDSKRAFT. Resilienz hilft, schwierige Lebenssituationen zu bewältigen und daraus sogar gestärkt hervorzugehen. Diese Fähigkeit kann jeder Mensch lernen. Sieben Faktoren sind dabei entscheidend.
UNSERE EXPERTINNEN
Resilienz stammt vom lateinischen Wort resilire. Es steht für „abprallen“ oder „zurückspringen“. „Ursprünglich kommt der Begriff aus der Materialkunde – er beschreibt, wie sich Materialien unter Druck verformen, aber die alte Gestalt wieder annehmen, wenn der Druck nachlässt“, erläutert Psychologin und ÖGK-Expertin Nina Lankes. „Resiliente Menschen besitzen diese Fähigkeit auch – sie gehen aus manchen Krisen sogar gestärkt hervor.“ Über diese mentale Widerstandskraft zu verfügen oder nicht ist aber kein Schicksal, betont ÖGK-Psychologin Christina Mülneritsch. „Aufgrund bestimmter Persönlichkeitsmerkmale bzw. aufgrund ihrer Herkunft und Erziehung sind manche Menschen von Grund auf resilienter. Doch jede und jeder von uns kann Resilienz lernen und trainieren!“ Worauf es dabei ankommt, erläutern die beiden ÖGK-Expertinnen anhand von sieben Schlüsselfaktoren.
Optimismus
Eine positive Einstellung hilft, trotz Tiefschlägen das Gute im Leben zu sehen.
„Optimistisch zu denken fällt oft schwer – vor allem dann, wenn das Leben bereits viele Rückschläge bereithielt“, so Christina Mülneritsch. Trotz Herausforderungen den Blick für das Schöne im Leben zu bewahren ist eine Fähigkeit, die sich aber üben lässt. „Wer sich regelmäßig und bewusst auf die kleinen, schönen Aspekte im Alltag fokussiert – etwa mithilfe eines Dankbarkeits-Tagebuches –, sieht auch während Krisensituationen Gutes im Leben.“
Akzeptanz
Dinge anzunehmen, die wir nicht ändern können, ist ein wichtiger Eckpfeiler der Resilienz.
„Es gibt Krisen, Rückschläge, schwierige Herausforderungen im Leben, auf die wir keinen Einfluss haben. Akzeptieren wir diese Situationen und nehmen sie an, haben wir mehr Kraft dafür, das Beste daraus zu machen und uns jenen Dingen zuzuwenden, die wir ändern können“, erläutert Nina Lankes. Unabänderliches zu akzeptieren ist nicht leicht, und es braucht Zeit, sich erst einmal mit der Situation auseinanderzusetzen. Langfristig unterstützt uns Akzeptanz aber bei der Bewältigung.
Lösungsorientierung
Konstruktive Lösungen für Probleme zu finden bringt Kontrolle zurück ins Leben.
„Die Art, wie wir über uns selbst denken, hat viel mit Lösungsorientierung zu tun“, erläutert Mülneritsch. „Etwa, wie wir mit Fehlern umgehen.“ Sind Sie beispielsweise jemand, der sich für einen Fehler gleich mit Sätzen wie „Ich bin so blöd“ bestraft? „Dann üben Sie eine andere Denkweise“, rät die Psychologin. „Was kann ich aus diesem Fehler lernen, was kann ich nächstes Mal besser machen?“ – solche regelmäßigen Überlegungen helfen dabei, Herausforderungen nicht als unüberwindbare Hindernisse zu sehen und eine lösungsorientierte Einstellung zu stärken.
Verantwortung übernehmen
Das eigene Handeln hat positive Auswirkungen – auch in herausfordernden Situationen.
Die Schuld an Rückschlägen im Leben bei anderen Personen oder Umständen zu suchen hilft langfristig nicht bei deren Bewältigung. Stattdessen ist es wichtig, selbst aktiv zu werden. „Jede und jeder von uns hat Fähigkeiten, die wir zur Verbesserung von schwierigen Situationen nutzen können“, so Nina Lankes. Aber es gäbe auch Grenzen, betont Christina Mülneritsch: „In vielen Bereichen ist gesellschaftliche, politische oder strukturelle Verantwortung gefragt. Die Schlussfolgerung darf deshalb nicht sein: Sei nur resilient, dann ist alles kein Problem.“
Opferrolle verlassen
Die innere Haltung hat großen Einfluss darauf, wie wir mit Stress und Krisen umgehen.
„Die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen“ – dieses Gefühl kennen viele Menschen, vor allem jene, die bereits viele Krisen bewältigen mussten. Dennoch ist es wichtig, nicht in der „Opferrolle“ zu verharren, denn: Diese macht uns handlungsunfähig. „Damit ist nicht gemeint, dass man kein Mitgefühl für sich empfinden oder Schicksalsschläge nicht betrauern darf“, stellt Mülneritsch klar. „Aber es ist dennoch wichtig, zu wissen, dass wir immer noch die Akteurin bzw. der Akteur in unserem Leben sind und immer noch Möglichkeiten haben, Krisen zu bewältigen.“
Netzwerkorientierung
Wer soziale Beziehungen aktiv pflegt, stärkt auch sein Netzwerk für Krisen.
Gute Beziehungen unterstützen gerade in herausfordernden Situationen unser mentales Wohlbefinden: „Es ist wichtig, Bezugspersonen im eigenen Leben zu haben, die man um Hilfe bitten und deren Unterstützung man auch annehmen kann“, betont Nina Lankes. „Damit ist auch gemeint, selbst für andere da zu sein und auch mal den ersten Schritt zu wagen, wenn jemand Hilfe benötigt. Eine einfache Frage wie ,Möchtest du darüber reden‘ macht oft den Unterschied.“ Und: Manchmal fällt es leichter, sich neutralen Dritten gegenüber zu öffnen. „Nehmen Sie in diesem Fall professionelle Beratung in Anspruch!“
Zukunftsplanung
Aktive Planung stärkt das Vertrauen, dass man seine Zukunft selbst positiv mitgestalten kann.
Den Blick nach vorne zu richten fällt vielen in schwierigen Situationen nicht leicht, hilft aber dabei, sich von Vergangenem zu lösen. „Malen Sie sich die Zukunft positiv aus und kreieren Sie realistische mentale Bilder davon“, rät Nina Lankes. Wichtig dabei: Ziele zu planen, die man selbst erreichen kann und die nicht von anderen abhängig sind. „Zukunftsziele müssen nicht nur langfristige sein“, ergänzt Mülneritsch. „Überlegen Sie auch, was Sie in einer schwierigen Situation schon umsetzen können, um die nahe Zukunft zu gestalten. Sind Sie aktuell auf Jobsuche, können Sie etwa die Zeit nutzen, um Pläne für eine andere Ausbildung zu machen. Sie haben nun aber auch die Gelegenheit, um einen Besuch bei Freundinnen oder Freunden oder eine Wanderung zu planen.“
TEXT Claudia Drees
Fotos: Devin Avery / Unsplash, ÖGK