Ernährung der Zukunft
DISKUSSION. Wie wird unser Ernährungssystem zukunftsfit – sowohl hinsichtlich unserer Gesundheit als auch in Sachen Umwelt? In MEINE GESUNDHEIT diskutiert eine Runde von Expertinnen und Experten die großen Trends.
UNSERE EXPERTINNEN UND EXPERTEN
Zukunft unserer Ernährung – welcher Trend fällt Ihnen zuallererst ein?
Rützler: Aus Gesundheitsperspektive die ‚Flexitarian Diet‘. Sie ist der Schlüssel zur Verringerung des hohen Fleischkonsums. Flexitarier und Flexitarierinnen orientieren sich an einer vegetarischen Ernährung, ohne gänzlich auf Fleisch zu verzichten. Sie greifen zudem meist zu hochwertigeren Produkten. Auch das Thema Nachhaltigkeit wird noch wichtiger und schließt sowohl Tierwohl wie die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung mit ein.
Frau Kottnig, das wird Sie als Vorsitzende von „Slow Food Österreich“ freuen. Wie sehen Sie die Ernährung der Zukunft?
Kottnig: Im Mittelpunkt unserer Bewegung, die bereits in 116 Ländern aktiv ist, stehen gute, saubere und faire Lebensmittel, die allen Menschen zugänglich gemacht werden sollen. Gemeinsam mit unseren Partnern aus Landwirtschaft, Produktion und Gastronomie wollen wir an positiven Beispielen zeigen, dass ein zukunftsfittes Ernährungskonzept möglich ist. Ein Weg ist, die Türen zu den Höfen unserer bisher 120 Produzentinnen und Produzenten für interessierte Besucherinnen und Besucher zu öffnen.
Herr Prof. Dr. Widhalm, als Kinderarzt und Ernährungsmediziner wissen Sie: Unsere Ernährungsgewohnheiten sehen oft noch anders aus …
Widhalm: Ja. Denn aktuell sind rund 50 Prozent der Menschen in Österreich übergewichtig. Auch immer mehr Kinder und Jugendliche sind adipös. Daraus entwickeln sich Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Neben mangelnder Bewegung ist dafür der Konsum ungesunder, energiereicher Nahrung verantwortlich, die heute überall erhältlich ist, beworben wird und in immer größeren Verpackungen zur Verfügung steht.
Was müsste geschehen, um das Ernährungsverhalten in Zukunft zu ändern?
Widhalm: Wenn man den Menschen ständig erzählt, worauf sie verzichten sollten, bringt das nichts. Man muss schon in der Schule ansetzen und Kindern spielerisch gesunde Ernährung im Unterricht näherbringen. Wie schmeckt etwas, wo wächst eine bestimmte Pflanze, wann hat sie Saison, was lässt sich damit zubereiten? Wir haben ein Projekt entwickelt, das Ernährungsunterricht und ein Mehr an Bewegung an ausgewählten Wiener Schulen kombiniert. Es hat sich gezeigt, dass das funktioniert. Wir brauchen in Zukunft umfassende Programme, die von Profis aus den Bereichen Sport, Ernährung, Pädagogik, Medizin und Psychologie umgesetzt und anschließend evaluiert werden. Bei Erwachsenen zeigen auch Beispiele wie „Der gesunde Teller“, woraus eine gesunde Mahlzeit bestehen könnte.
Kottnig: Eine Veränderung des Essverhaltens ist ein langer Prozess, der so früh wie möglich beginnen sollte, das sehe ich genauso. Wir veranstalten auch Workshops an Schulen oder laden die Schülerinnen und Schüler auf die Höfe unserer Produzentinnen und Produzenten ein. Das muss in Zukunft noch viel breiter werden.
Rützler: Gesunde Ernährung muss schmecken. Und da wir lernen, das zu lieben, was wir häufig essen, sind vor allem Köche und Köchinnen gefragt, die gesunde Lebensmittel kulinarisch überzeugend zubereiten können.
Welche gesellschaftspolitischen Anregungen haben Sie?
Rützler: Die Kochausbildung völlig neu aufstellen, mit Schwerpunkt auf pflanzliche Küche, wie dies auch von Spitzköchinnen und -köchen gefordert wurde. Und die landwirtschaftlichen Subventionen an den Richtlinien der Planetary Health Diet der Lancet-Kommission orientieren. Sie zeigt, wie sich die Ernährung verändern muss, um die persönliche und die Gesundheit des Planeten zu gewährleisten. Die Landwirtschaft wird sich auch durch geänderte Klimaverhältnisse strategisch neu ausrichten müssen: Wo macht Milchproduktion Sinn? Wie kann ich Tiere klimaneutraler halten? Welche Obst- und Gemüsesorten werden in Zukunft besser für meinen Boden geeignet sein? Schon jetzt gibt es Local Exotics bei uns, also Obst- und Gemüsesorten, die bisher in mediterranen Regionen kultiviert wurden.
Kottnig: Es geht auch um Ernährungskompetenz. Woher weiß man, dass ein Produkt gut und nachhaltig ist? Zudem wären Schulkantinen, die allen Kindern einmal täglich ein kostenloses gesundes Essen bieten, eine gute Lösung. Länder wie Finnland zeigen vor, wie es geht. Für die Zukunft wünsche ich mir auch abwechslungsreichere Betriebskantinen mit einem gesunden und leistbaren Angebot.
Widhalm: Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Lebensmittel preislich so gestaltet werden müssen, dass gesunde Produkte leistbar sind – und bedenkliche teurer werden. Die Zuckersteuer wäre eine Maßnahme, aber nicht die einzige. Die Politik muss zudem mehr Anreize für gesunde Ernährung schaffen, die auch die Eltern erreichen. Früher waren regelmäßige Untersuchungen des Kindes weit über das erste Lebensjahr hinaus im Mutter-Kind-Pass verankert und wurden mit Boni belohnt. So etwas sollte wieder überlegt werden – nicht nur für Kinder, sondern auch für Jugendliche.
Welche Innovationen dürfen wir in der Lebensmittelproduktion erwarten?
Rützler: Die Präzisionsfermentation eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Herstellung alternativer Proteine vulgo Fleischersatzprodukte. Und weltweit forschen viele Unternehmen daran, Cultured Meat auch im großen Maßstab und zu leistbaren Preisen produzieren zu können. Zudem wird die Reduktion von Lebensmittelverschwendung eine größere Rolle spielen – zum Beispiel, indem auch Nebenprodukte der Lebensmittelproduktion gerettet und weiterverarbeitet werden, oder durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Bereich Logistik.
Und wie sieht es mit Insekten als Nahrungsquelle aus?
Rützler: Sie haben ernährungsphysiologisch alle Trümpfe. Praktisch haben aber Insekten als Nahrungsmittel in unserem Kulturraum keine Tradition. Das liegt daran, dass sie hier auch nicht leicht zu finden und zu fangen sind. Wollte man sich von Heuschrecken ernähren, würde man schon mehr Energie für die Jagd nach ihnen verbrauchen, als uns ihr Verzehr liefern würde.
Widhalm: Das würde aber wiederum gesunde Ernährung mit wichtiger Bewegung verbinden. (Alle lachen.)
TEXT Claudia Drees
Fotos: Daniela Matejschek, Martin Biller / ÖGK, Wirtschaftsbund