Wo das Glück wohnt

 

Univ.-Prof. Dr. Anton-Rupert Laireiter
Gesundheitspsychologe, Klinischer Psychologe, Psychotherapeut; lehrt an der Universität Salzburg, war bis 2023 an der Universität Wien tätig (li.)

Mag. Petra Hedman
Presse- und Kulturreferentin der Finnischen Botschaft, Wien

Prof. Bernhard Heinzlmaier
Soziologe und Jugendforscher, Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung Wien, Leiter des Marktforschungsunternehmens T-Factory Hamburg (re.)

 
 

DISKUSSION. Wir blicken ein bisschen neidisch nach Finnland, wo die Menschen ganz offiziell weltweit am glücklichsten sind. Und das seit Jahren. Bleibt die Frage: Was können wir in Österreich daraus lernen?

Zum siebenten Mal in Folge auf Platz eins des „World Happiness Report“ – wie machen das die Finninnen und Finnen bloß? MEINE GESUNDHEIT wurde in die Finnische Botschaft in Wien eingeladen, um zu diskutieren: Was macht die Finninnen und Finnen glücklich? Können wir uns in Österreich dabei etwas abschauen?

Wie definieren Sie Glück?

Heinzlmaier: Ich spreche lieber von Glücksmomenten, und die sind von Zufall und Begegnungen abhängig. Ein persönlicher Glücksmoment war, als ich gestern Nacht aus Hamburg nach Wien gekommen bin, das jüngere meiner beiden Kinder aufgewacht und mir um den Hals gesprungen ist.

Hedman: Familie, Freunde und Gesundheit machen glücklich. Wenn man die Freiheit hat zu entscheiden, was man im Leben tut, macht das zufrieden.

Laireiter: Einen Fokus lege ich auf das sogenannte eudämonistische Glück nach dem griechischen Philosophen Aristoteles: Es kommt letztlich darauf an, ein sinnvolles Leben führen zu können.

Was machen die Menschen in Finnland besser?

Hedman: Als wir das erste Mal „das glücklichste Land“ wurden, waren die Finninnen und Finnen selbst überrascht (lacht). Finnland hat viele Anstrengungen unternommen, um Systeme für Bildung, Wirtschaft und Gesundheit zu entwickeln, die zum persönlichen Glück beitragen. Die Menschen haben heute ein hohes Vertrauen in Institutionen und ineinander. Dass beispielsweise die Gleichberechtigung so wichtig ist, ermöglicht auch Müttern, Karriere zu machen. Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben. Bei uns gibt es den Begriff Rabenmutter nicht einmal. Die Bildung hat von Anfang an einen hohen Stellenwert; es sollen alle Kinder die gleichen Chancen haben. Wir haben bis 14, 15 Jahre die Gesamtschule in Finnland.

Laireiter: Dass in den vergangenen 40 Jahren die Werte für das Glücksempfinden der Menschen in verschiedenen Staaten gesunken sind, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Leute unglücklicher sind. Der Grund ist vielmehr: Wir haben heute einen höheren Anspruch an unsere Lebensumstände und -bedingungen. Trotzdem: Ich glaube, das Glück in Finnland hat viel mit der Natur zu tun.

Hedman: Unser finnischer Präsident sagt: Die Top 3 für sein Glück sind Natur, Vertrauen und Bildung.

Heinzlmaier: Ich erlebe die Menschen im Norden als gelassener. Eine Voraussetzung für Glück ist eine gewisse Abgeklärtheit; wer überzogene Erwartungen hat, wird nicht glücklich. Ich mag den Begriff „aufgeklärte Affirmation“: Ja sagen zu können zu dem, was man hat.

Hedman: Richtig! Die frühere finnische Botschafterin hat einmal scherzhaft zum „Happiness Report“ gesagt: Wir gehen eben oft in die Sauna und erwarten nicht so viel vom Leben (lacht).

Laireiter: Die Sauna vermag tatsächlich entsprechende Neurotransmitter freizusetzen, um Endorphine auszuschütten.

Hedman: Interessant ist auch der Arbeitskontext in Finnland; wir haben flache Hierarchien und Siezen fast nur in Ausnahmefällen; das liegt auch an der Sprache.

Heinzlmaier: Spannend, denn es ist tatsächlich so, dass, wenn der Mensch sich ohnmächtig, bevormundet und unterdrückt fühlt, er nicht glücklich sein kann. Hierarchien werden in Österreich leider vielfach intensiv gelebt.

 

Kommentar

Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit

Deshalb wollen wir als Gesundheitskasse auch das Glück und die seelische Gesundheit fördern. Gute Beziehungen und gute Lebensbedingungen in einer solidarischen Gesellschaft sowie eine positive Sicht auf Herausforderungen machen uns stark. Das hilft auch, den Sinn in unserem Leben zu entdecken und so das eigene lebensbejahende Glück. Nach Viktor Frankl will der Mensch letztlich nicht das Glücklichsein, sondern einen Grund zum Glücklichsein. Diesen Grund können wir nur selbst finden. Manchmal müssen wir uns dafür aber Hilfe holen.

Andreas Huss, MBA, ist Obmann der ÖGK.

 

Wie beeinflusst Glück unsere Gesundheit?

Laireiter: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte früher das absolute Wohlbefinden als psychische Gesundheit definiert, das gilt nicht mehr. Zum Leben gehört dazu, dass man Belastungen erlebt und dabei gewisse Kompetenzen erwirbt, um sein Leben zu meistern.

Wie geht es der Jugend?

Heinzlmaier: Sie hat keine überzogenen Erwartungen, ist pragmatisch und bleibt mit beiden Beinen am Boden. Die Jugend heute versucht – wie das nordische Ideal – gelassen zu sein.

Hedman: Ob wir in Finnland wirklich gelassener sind …? – Mein Eindruck ist jedenfalls, dass die Jugend unter extremem Druck steht: Auch die Eltern verlangen viel, die Kalender sind voll mit Training und Instrumentalunterricht, hinzu kommt der Druck von den sozialen Medien, wo man nur vermeintlich perfekte Leben sieht.

Heinzlmaier: Ich würde die Jugend dennoch nicht als unglücklich bezeichnen, sie ist aber weniger optimistisch. Ein Beispiel aus einer Studie, in der Werte zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz verglichen wurden: Die Jungen aus der Schweiz blickten deutlich optimistischer in die Zukunft. Dann haben wir uns die Inflationsraten angesehen und festgestellt, dass diese zum Erhebungszeitraum in der Schweiz deutlich niedriger war. Kurz: Die ökonomische Basis beeinträchtigt das Glück; die Jugend hat es heute nicht mehr so leicht, sich selbst zu verwirklichen, einen gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen.

Welche Rolle spielen soziale Medien?

Heinzlmaier: Ich empfehle den Bestseller „Generation Angst“ von Jonathan Haidt, der auf empirischer Grundlage beschreibt, wie sehr Menschen in Netzwerken gefangen sind und welche fatalen Auswirkungen das mittlerweile hat. Der ständige Vergleich auf Social Media ist laut Haidt mitverantwortlich für die gestiegene Selbstmordrate bei Frauen in den USA. Dass die Menschen die Fähigkeit verlieren, aus diesem Netz herauszutreten, zu entspannen, ist ein Faktor, der zum Unglücklichsein beiträgt.

 

Kommentar

Gute Beziehungen machen glücklich

Glück empfinde ich unter anderem in Momenten, in denen ich Ziele für die Gesundheitskasse oder auch private Ziele erreiche. Es ist ein gutes Gefühl, wenn ich eine berufliche Herausforderung erfolgreich meistern oder einem Menschen in einer schwierigen Lage helfen kann. Gute Beziehungen sind wichtig für die seelische Gesundheit. Nicht umsonst ist es so wertvoll, Verbindungen mit anderen Menschen aufzubauen. Das wird mir auch bei den – viel zu seltenen – Treffen mit lieben Menschen immer wieder bewusst.

Matthias Krenn ist Obmann der ÖGK.

 


Wie gelingt ein gesunder Umgang?

Laireiter: Ich glaube, dass zumindest einige der psychischen Störungen – eine entsprechende Anfälligkeit vorausgesetzt – ihren Ursprung in den sozialen Medien haben. Ich würde nicht bei den Jugendlichen ansetzen und sagen: Ihr müsst euch zusammenreißen. Es braucht Initiativen für Familien mit jungen Kindern und in den Schulen.

Heinzlmaier: Auch wir sind in meiner Familie nicht völlig frei von Konflikten in Bezug auf den Umgang mit Medien. Aber ich weiß, dass, wenn ich meiner Tochter abends eine Geschichte erzähle, sie kein Interesse am Handy hat. Um Alternativprogramme bieten zu können, braucht es auch Elternbildung.

Was empfehlen Sie zum Glück?

Laireiter: Wir müssen unseren Lebensstil hinterfragen, viel in die Natur gehen und unseren Körper fordern. Wichtig sind liebevolle soziale Beziehungen; wir sind zu den intimsten, intensivsten und vielschichtigsten Beziehungen fähig. Es ist außerdem gut, sich Ziele zu setzen, nicht immer im Sinne der Leistung, sondern solche, die einen beflügeln und stimulieren.

Hedman: Mich beeindrucken Menschen, die mit großen Herausforderungen konfrontiert sind, wenn beispielsweise der Partner oder das Kind erkrankt, und trotzdem positiv bleiben.

Heinzlmaier: Wenn man Menschen um sich hat, die einen unterstützen und die einem Möglichkeit zur Reflexion geben, dann erleichtert das das Leben.

Laireiter: Ob das Glas halbleer oder halbvoll ist, ist oft auch eine bewusste Entscheidung. Man kann nicht sagen, das Leben ist da, um mir zu dienen. Wir haben Antworten zu finden.


 

Kommentar

Digitale Angebote für eine moderne Versorgung

Mentale Gesundheit ist für Mitarbeitende und Unternehmen wichtig, denn viele vor allem längere Krankenstände sind psychisch bedingt. Als Digitalisierungs-Vorreiterin prüft die ÖGK laufend neue digitale Angebote zur Erhaltung der psychischen Gesundheit, z. B. mittels Pilotprojekten wie Apps auf Rezept. Hier werden in Deutschland oder in Frankreich bereits Erfolge für eine individuell gestaltete Versorgung erzielt. Es gilt, von diesen Erfahrungen zu profitieren und eine effiziente und bestmögliche Versorgung in Österreich sicherzustellen.

Mag. Moritz Mitterer ist Vorsitzender der Hauptversammlung der ÖGK.

 

Wie kann der Staat zum Glück beitragen?

Heinzlmaier: Finnland hat wohl auch gute Werte, weil es gute kollektive Strukturen für Kinder gibt. Auch das erleichtert das Leben. Man kann in einer Familie glücklicher sein, wenn die Belastung gut dosiert ist, und unglücklich, wenn man überlastet ist.

Hedman: Als meine Kinder klein waren, habe ich mir gedacht: Im Kindergarten sind Profis, die bringen ihnen auch Dinge bei, die ich nicht kann. Was in Finnland auch entlastet, ist, dass 80 Prozent der Männer in Karenz gehen. Dass ein Mann putzt und kocht, ist völlig normal, das hat schon mein Vater getan.


TEXT Viktória Kery-Erdélyi

Fotos: Philipp Horak, Martin Biller / ÖGK, Martin Biller / ÖGK, Wirtschaftsbund
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